Resolution deutscher Naturschutzakteure zum lnsekten- und Biodiversitätsschwund

ln der derzeitigen Debatte um den Rückgang von lnsekten, Vögeln und ganz allgemein der Biodiversität in Deutschland werden von allen Fachleuten die Ausräumung und Überdüngung der Agrarlandschaft und die Pestizide (besonders die Neonicotinoide und das Glyphosat) als wesentliche Ursachen angeführt.

Wir, die deutschen Extensivweidevereinigungen und weitere Naturschutzakteure sowie Tierhalter, zweifeln nicht an der Schädlichkeit dieser Stoffe, sind aber überzeugt davon, dass der Biodiversitätsschwund nicht erst eine Erscheinung der letzten Jahre ist, sondern ein Prozess, der seit vielen Jahrzehnten, im Grunde seit Mitte des 19. Jahrhunderts, abläuft und sich seit den 1970er Jahren nochmals beschleunigt hat. Ein entscheidender Faktor, gerade auch für das Insektensterben, ist nach unserer Auffassung das Verschwinden von Weidetieren in naturverträglicher Haltung aus der freien Landschaft, wobei dem Rind und dem Pferd eine besonders große ökologische Bedeutung zukommt. Sieht man heute überhaupt noch Weidetiere draußen, stehen sie meist in viel zu hoher, für Flora und Fauna destruktiver Dichte. Zudem werden sie meist prophylaktisch mit Antiparasitenmitteln behandelt, die zu einer weiteren Reduktion unserer Biodiversität, vor allem aber der lnsekten, führen. Auch die Rolle der wilden Weidetiere, v.a. des Rotwildes, verdient hier künftig stärkere Beachtung.

Auf den bei uns bis ins 19. Jahrhundert hinein noch großflächig vorhandenen Allmendweiden, zu ­denen auch viele Wälder gehörten, lebten zahlreiche Tier- und Pflanzenarten wie Groß- und Zwergtrappe, Blauracke, Schlangenadler, Gänsegeier und viele andere, die bald nach Abschaffung der Weiden und ihrer Umwandlung in Nadelholzforste, Ackerland und Mähwiesen fast oder ganz ausgestorben sind. Der Strukturreichtum der einstigen Huteweiden mit ihren Geilstellen, Trampelpfaden, Suhlen, Dornensträuchern, Hutebäumen u.v.m. und der Wechsel zwischen offenen und mit Gehölzen bestandenen Bereichen boten fast allen unseren Offenlandarten Lebensraum. Der Dung, von dem eine einzige Kuh rund 10 Tonnen im Jahr produziert, nährte Unmengen von lnsekten, die wiederum eine riesige Ressource für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fledermäuse waren. Zugleich war er Medium für den Transport unzähliger Samen von Pflanzenarten und sogar wirbelloser Tiere, die heute in der Landschaft an isolierten Standorten genetisch degenerieren oder schon verschwunden sind.

Nennenswerte Reste traditioneller Weiden existierten bis in die 1960er Jahre hinein. Seither werden fast alle Nutztiere entweder ganzjährig im Stall oder auf lntensiv­weiden gehalten. Selbst die in der Landschaftspflege noch aktive Hüteschäferei ist vielerorts, von schwindender Rentabilität getrieben, zu inten­siverer Bewirtschaftung übergegangen. ­Das zuvor auch zeitweise beweidete Ackerland wird schon seit den 1970er Jahren nur noch intensiv bewirtschaftet und bis heute hat sich auch im Grünland die lntensivstnutzung aufgrund der gesteigerten Milchleistung und auch des Biogasbooms durchgesetzt.

Aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchun­gen ist aber bekannt, dass die Sterblichkeitsrate quer durch alle Tiergruppen (von Amphibien über Käfer, Spinnen, Heuschrecken bis zu den Bienen) bei maschinellen Mahdtechniken bis über 80% pro Schnitt reicht und die lntensivierung der Grünlandnutzung zu einer großräumigen Verarmung und Monotonisierung unserer Landschaften geführt hat. Die erfreu­liche Rückkehr einer Handvoll Vorzeigearten ist keine Trend­umkehr, denn diese leben meist nicht in der Agrar­landschaft.

ln dieser dramatischen Situation wollen wir als Akteure mit jahrzehntelanger Forschungs- und Praxiserfahrung auf ausgesprochen erfolgreiche Extensiv-Weideprojekte verweisen, die einen Ausweg aufzeigen und insbesondere als Gegenmaßnahme zum Insektensterben ein sehr erfolgreiches Werkzeug sind. Auf solchen Flächen nahmen die lnsekten bereits nach wenigen Jahren wieder substanziell zu und im Gefolge haben sich zahlreiche gefährdete Vogel- und Amphibienarten wieder ausgebreitet. Sogar regional ausgestorbene Arten sind wieder eingewandert.

Wir fordern die Rückkehr der großen Weidetiere in die Landschaft: in geringer Besatzdichte, mit möglichst robusten Rassen, ohne prophylaktische Medikamentierung (nur bei Bedarf), möglichst ganzjährig und auf mindestens 5% der land- und forstwirtschaftlichen Nutzfläche.

Volkswirtschaftlich gesehen ist der Preis einer solchen Bewirtschaftung niedrig, wenn vornehmlich Standorte herangezogen werden, die ertragsschwach sind oder nur mit Ertragsrisiko genutzt werden können, wie z.B. überschwemmungsgefährdete Auen, Moorböden oder Hang- und Kuppenlagen. Für unsere Gesellschaft als Ganzes wäre der Gewinn durch die wiederkehrende Biodiversität, die landschaftliche Schönheit und ldentität, den Erholungswert, das ­Tierwohl, Hochwasserrückhaltepotential, den Boden- und Klimaschutz und nicht zuletzt die Gewinnung hochwertigen Fleisches immens.

Wir fordern eine substanzielle finanzielle Förderung der extensiven, naturverträglichen Beweidung in der nächsten Runde der Gemeinsamen Agrarpolitik wie auch auf nationaler Ebene, einen Abbau büro­kratischer Hindernisse bei ihrer Einrichtung und Durch­führung sowie die aktive Unterstützung der öffent­lichen Hand und weiterer Akteure zur Etablierung möglichst großflächiger Weidegebiete.

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Unterzeichner

  • ABU – Arbeitskreis Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V.
  • Biologische Schutzgemeinschaft Göttingen e.V.
  • BundeWischen eG – Landwirtschaft, Natur & Mensch im Einklang
  • NABU-Bundesfachausschuss Entomologie
  • Förderkreis Große Pflanzenfresser im Kreis Bergstraße e.V.
  • Förderkreis Umwelt und Naturschutz Hondelage e.V.
  • Gärtner­hof Callenberg
  • Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz e.V.
  • Internationaler Förderverband zum Einsatz des Wasserbüffels als Landschaftsspfleger in Europa e.V.
  • Landesbund für Vogelschutz e.V.
  • NABU-Bundesfachausschuss Landwirtschaft
  • Landwirtschaft & Landschaftspflege Jan Gahsche
  • Naturforschende Gesellschaft Altenburg e.V.
  • Naturschutz-­Förderverein Döberitzer Heide e.V.
  • Naturschutz Berlin-Malchow e.V.
  • Naturschutzzentrum Wengleinpark e.V.
  • Öko Agrar GmbH Unteres Odertal
  • Primigenius – Köthener Naturschutz und Landschaftspflege gGmbH
  • Der Reiserer
  • NABU Kreisverband Stendal e.V.
  • Taurus Naturentwicklung e.V.
  • Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern e.V.
  • Verein für Naturschutz und Landschaftspflege e.V., Kißlegg
  • Verein zur Förderung der Auerochsenzucht e.V.
  • Verein zur Förderung naturnaher Weidelandschaften Süddeutschlands e.V.
  • Verein Thüringer Ornithologen e.V.
  • NABU-Bundesfachausschuss Weidelandschaften und Neue Wildnis
  • Weideverein Taurus e.V.
  • Weidewelt e.V.
  • Wildes Bayern e.V.