Pressemitteilung zum Volksbegehren Insektensterben

Volksbegehren Insektensterben: Rolle der Jahrtausende alten, naturnahen Beweidung völlig vergessen!

Stellungnahme zum Volksbegehren „Rettet die Bienen“ und „Eckpunkteprogramm“ der Landesregierung Baden-Württemberg

Der Verein zur Förderung naturnaher Weidelandschaften Süddeutschlands wurde 2017 von Fachleuten aus dem Naturschutz und der Landschaftspflege gegründet, um die archäologisch und historisch verbürgte, Jahrtausende lange natürliche und naturnahe Beweidung Mitteleuropas als zentrale Strategie zum Schutz und Erhalt der Biodiversität, insbesondere auch der Insekten, wieder aktiv in Politik und Gesellschaft zu verankern.

Vor allem große Weidetiere wie Rinder, Pferde und Hirsche haben seit der letzten Eiszeit durch ihren Fraß, ihren Tritt, ihr Wälzen, ihren Dung und ihre Kadaver die Lebensräume der wildlebenden Tier- und Pflanzenwelt in Mitteleuropa maßgeblich mitgestaltet. Noch bis vor 200 Jahren, als die ganzjährige Stallhaltung eingeführt wurde, bevölkerten unsere Nutztiere unter der Aufsicht von Hirten auf der Suche nach Futter alle Teile unserer Kulturlandschaften, jahraus und jahrein, von der Schneeschmelze bis zum ersten Schneefall. Die letzten Reste der naturnahen, landwirtschaftlichen Beweidung auf größerer Fläche gingen im Laufe der 1950er Jahre mit dem Übergang zur industriellen Landwirtschaft vollends verloren. Damit einher ging ein stetiger Verlust an Biodiversität, der sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugespitzt hat.

Die Mitglieder des Vereins sind der festen Überzeugung, dass neben der allgemeinen immensen Steigerung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsintensität, dem flächendeckenden Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel sowie dem Eintrag von Düngestoffen über die Atmosphäre das Fehlen einer naturnahen Beweidung mit geringer Dichte der Weidetiere auf ausreichend großer Fläche und ohne schematischen Einsatz von Arzneimitteln einen herausragenden, aber bisher auch von der Wissenschaft weitgehend übersehenen Schlüsselfaktor für das Insektensterben darstellt. Trotz individuellen Ausstoßes von Methangas bei Wiederkäuern stellt die naturnahe Beweidung aufgrund ihrer geringen Besatzdichte sowie der nachhaltigen Humusbildung auf
Dauerweiden darüber hinaus eine effektive Klimaschutzmaßnahme dar.

Leider fanden diese Sachverhalte weder im Text des Volksbegehrens noch im Eckpunktepapier der Landesregierung ihren Niederschlag. Deshalb hat der Verein bei seiner Jahresmitgliederversammlung am 9.11.2019 die folgenden Forderungen verabschiedet.

10-Punkte-Programm des Vereins Weidelandschaften zum Volksbegehren

Insektensterben:

  1. Einrichtung eines Landesprogrammes zur gesonderten, attraktiven Finanzierung der naturnahen Beweidung mit Rindern, Pferden, Schafen, Ziegen und Schweinen auf land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen, aber auch auf Privat- und Kommunalflächen, bei gleichzeitigem Abbau von administrativen Hindernissen.
  2. Einführung eines langfristig angelegten Finanzierungsprogramms „Biodiversitätsproduktion mit naturnaher Weidewirtschaft“ auf der Ebene von ganzen landwirtschaftlichen Betrieben bzw. Betriebszweigen (der Landwirt als „Biodiversitätswirt“).
  3. Einführung der naturnahen Beweidung auf allen Staatsdomänen mit dem Ziel der maximalen Biodiversitätsförderung (die Umstellung auf biologische Landwirtschaft allein reicht aufgrund der auch dort gestiegenen, vergleichsweise hohen Produktionsintensitäten nicht aus, um die gesamte Biodiversität zu sichern).
  4. Massive Verbesserung der Finanzierung der naturnahen, auch temporären Hütehaltung von Weidetieren (Schafe, Ziegen, aber auch Rinder, Pferde, Schweine) für einen effektiven funktionellen Biotopverbund.
  5. Re-Integration der Vor- und Nachbeweidung in die Pflegebewirtschaftung von Wiesen und Äckern.
  6. Re-Integration der naturnahen, nachhaltigen Weidewirtschaft in die forstwirtschaftliche Produktion auf mindestens 5 % der Waldflächen in Landesbesitz.
  7. Sicherung aller noch in Ansätzen erhaltenen, naturnahen Weidelandschafts-Relikte wie Allmend-Viehweiden, Wildparks, Streuobstbestände etc. als zukünftige Biodiversitäts-Spendergebiete (Wiederaufnahme der naturnahen Beweidung, ggf. auch durch großflächigen Grunderwerb).
  8. Neueinrichtung von naturnahen Weidelandschaften mit mindestens 50 ha Größe in jedem Landkreis Baden-Württembergs innerhalb der nächsten 5 Jahre (ggf. unter Einbeziehung von Staatswald sowie Domänenbesitz).
  9. Auf Moorböden (> 30 % org. Substanz) und in Überschwemmungsgebieten (<= HQ10) zeitlich gestufte Einführung eines Verbots der ackerbaulichen und intensiven Grünlandnutzung bei gleichzeitiger massiver Finanzierung der extensiven Grünlandnutzung mit naturnahem Weidebetrieb.
  10. Einrichtung eines Forschungsschwerpunktes für Landnutzungsgeschichte und Biodiversität.

Download

Pressemitteilung zum Volksbegehren Insektensterben – Verein zur Förderung naturnaher Weidelandschaften e.V.

Weitere Informationen

Naturnahe Beweidung und NATURA 2000 (Hrsg: Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V., 2019); http://www.abu-naturschutz.de/veroeffentlichungen/naturnahebeweidung.html.